Eingliederungshilfe (§35a SGB VIII)

Wenn aufgrund einer anhaltende psychischen Erkrankung deine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, hast du Anspruch auf eine Eingliederungshilfe.

 

Teilhabe (Partizipation) meint das Eingebundensein in Lebensbereiche. Wichtige Lebensbereiche sind z.B. die Schule oder soziale Kontakte.


Was ist eine Teilhabe-Beeinträchtigung?

Eine Teilhabe-Beeinträchtigung (§35a Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII) kann zum Beispiel vorliegen, wenn du aufgrund deiner psychischen Erkrankung längerfristig nicht mehr zur Schule gehen kannst und keinen Kontakt mehr zu Gleichaltrigen hast.


Was ist eine "seelische Behinderung"?

Im Sozialgesetzbuch findet man den Begriff "seelische Behinderung". Damit ist gemeint, dass eine psychische Erkrankung vorliegt, die zu einer Teilhabe-Beeinträchtigung führt (vgl. § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX).

 

Eine Behinderung ist keine Eigenschaft einer Person. Eine Behinderung ist eine Situation, die sich ergibt aus der Wechselwirkung individueller und gesellschaftlicher Bedingungen.


Anspruchsberechtigung

"Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe" (§35a SGB VIII Absatz 1 Satz 1) sowie junge Volljährige in der Regel bis zum 21. Geburtstag (§41 SGB VIII: "Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt"). 

 

Bei der Eingliederungshilfe sind also nicht die Eltern (Personensorgeberechtigte) anspruchsberechtigt. Damit unterscheidet sie sich von der Hilfe zur Erziehung: "Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung)" (§27 SGB VIII Absatz 1).

 

Vor dem 15. Geburtstag können allerdings nur die Eltern (Personensorgeberechtigten) den Anspruch auf Eingliederungshilfe geltend machen. Ab dem 15. Geburtstag (§ 36 SGB I) können Jugendliche selbst einen Antrag stellen.


Leistungen der Eingliederungshilfe

Wenn du beispielsweise nicht zur Schule gehen kannst, ist die Förderung deiner "Teilhabe an Bildung" die Aufgabe der Eingliederungshilfe um dir eine Schulbildung zu ermöglichen (§90 Absatz 4 SGB IX und §112 SGB IX).

 

Es gibt vier Arten von Leistungen der Eingliederungshilfe:

  1. Medizinische Rehabilitation
  2. Teilhabe am Arbeitsleben
  3. Teilhabe an Bildung
  4. Soziale Teilhabe

Hilfeformen

Eine Eingliederungshilfe gibt es als ambulante Hilfe (z.B. durch einen Schulbegleiter) bis hin zu einer stationären Hilfe (z.B. in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche).

 

Alternativ kann die Hilfe finanziell geleistet werden als "Persönliches Budget". | www.einfach-teilhaben.de | www.bmas.de | www.reha-recht.de


Dein Antrag auf Eingliederungshilfe

Du musst einen schriftlichen Antrag auf Eingliederungshilfe stellen beim Jugendamt. Das ist nicht nur vorgeschrieben, sondern auch aus einem anderen Grund wichtig: Eine Vielzahl an Patient*innen hat mir berichtet, dass sie bei Terminen im Jugendamt ihren Hilfebedarf nicht verständlich machen konnten.

 

Wenn du in Eisenhüttenstadt wohnst, musst du laut www.landkreis-oder-spree.de deinen Antrag richten an:

 

Allgemeiner Sozialer Dienst
Eingliederungshilfe
Am Bahnhof 1E
15517 Fürstenwalde / Spree

 

Andererseits gibt es auch in Eisenhüttenstadt eine zuständige Fachkraft laut www.landkreis-oder-spree.de

 

Auf dem Antragsformular des Landkreises Oder-Spree müssen Eltern Angaben machen, zu denen sie meistens nicht in der Lage sind, zum Beispiel zur "Entwicklung der Persönlichkeit". Wenn Sie kein Experte sind für Persönlichkeits- oder Entwicklungspsychologie, helfe ich Ihnen beim Ausfüllen des Antragsformulars, wenn Sie es wünschen. Hier ist ein Beispiel-Antrag.

 

Das Antragsformular des Landkreises sieht vor, dass Eltern den Antrag stellen und unterschreiben - wenn du 15 oder älter bist, kannst du jedoch den Antrag selbst stellen (§36 SGB I). Außerdem ist das Jugendamt verpflichtet, dich bei allen Entscheidungen zu beteiligen (§8 SGB VIII).

 


Wie ich dir helfen kann

Zusätzlich zu deinem Antrag muss ich eine Stellungnahme verfassen, in der aufgeführt ist, ob / welche psychische Erkrankung nach der ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorliegt. Dazu kann ich das Multiaxiale Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters (wiki/Multiaxiales_Klassifikationsschema) nutzen.

 

Gesetzlich vorgeschrieben ist: Das Jugendamt soll mich als Psychotherapeuten beteiligen bei der Aufstellung des Hilfeplans und bei der Durchführung der Hilfe (§36 Absatz 3 SGB VIII).


Wie es nach deinem Antrag weiter geht

Das Jugendamt muss innerhalb von zwei Wochen nach Eingang deines Antrages feststellen, ob es zuständig ist (§14 SGB IX).

 

Wenn das Jugendamt feststellt, dass es zuständig ist, muss es deinen Hilfebedarf unverzüglich und umfassend feststellen innerhalb von drei Wochen nach Eingang deines Antrages (§14 SGB IX).

 

Wenn das Jugendamt hingegen findet, dass ein Gutachten notwendig ist, muss es es unverzüglich einen Sachverständigen beauftragen (§17 SGB IX). In der Regel werden dir mehrere Sachverständige nahe deines Wohnortes zur Auswahl gestellt. Der Sachverständige erstellt das Gutachten innerhalb von zwei Wochen nach Auftragserteilung. Innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens entscheidet dann das Jugendamt über die Hilfe.

 

Das Jugendamt muss sich bei der Ermittlung deines Bedarfs an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren (§118 SGB IX). 

 

Deine Leistungen zur Teilhabe werden schließlich vom Jugendamt als Rehabilitationsträger umgesetzt (§6 Absatz 1 Nummer 6 SGB IX).


Beratungsstelle

Auf www.teilhabeberatung.de findest du die nächstgelegene Beratungsstelle für eine "ergänzende unabhängige Teilhabeberatung" (EUTB). Es ist für Eltern verpflichtend, ihr Kind in einer solchen Beratungsstelle vorzustellen, wenn beim Kind eine Behinderung vorliegt (§33 SGB IX).

 

Auch medizinisches Personal, Sozialarbeiter, Lehrer und Erzieher haben die Verpflichtung, auf dieses Beratungsangebot aufmerksam zu machen (§34 SGB IX).


ICF

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dient der Beschreibung des Gesundheitszustandes einer Person. Zusätzlich gibt es speziell eine Version für Kinder und Jugendliche, die ICF-CY. 


Während die ICD gesundheitliche Probleme beschreibt (Krankheiten usw.), beschreibt die ICF weitere Komponenten der Gesundheitssituation:

  • Körperfunktionen: Physiologische Funktionen von Körpersystemen (z.B. das Sehen) einschließlich des mentalen Bereichs, also geistige und seelische Funktionen. Die Beeinträchtigung einer Körperfunktion wird als Schädigung bezeichnet.
  • Körperstrukturen: Anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen. Die Beeinträchtigung einer Körperstruktur wird als Schädigung bezeichnet.
  • Aktivitäten: Die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung. Schwierigkeiten, die ein Mensch bei der Durchführung einer Aktivität haben kann, werden als Beeinträchtigung der Aktivität bezeichnet.
  • Partizipation (Teilhabe) an Lebensbereichen, das Einbezogensein in eine Lebenssituation. Probleme, die ein Mensch hierbei erlebt, werden als Beeinträchtigung der Partizipation (Teilhabe) bezeichnet.
  • Umweltfaktoren: Die ICF listet Umweltfaktoren auf, die in Wechselwirkung stehen mit den o.g. Komponenten. Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben. Sie liegen außerhalb des Individuums. Sie lassen sich aber auf der Ebene des Individuums beschreiben (z.B. die Bedingungen in der Schule) oder auf der Ebene der Gesellschaft (z.B. Verkehrswesen, Gesetze). Umweltfaktoren gehören zu den Kontextfaktoren.

Links

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR): (PDF) Gemeinsame Empfehlungen Reha-Prozess

 

Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz: www.umsetzungsbegleitung-bthg.de

 

Uniklinik Ulm: Eingliederungshilfe nach §35a SGB VIII im Kontext des Bundesteilhabegesetzes

 

Landesjugendämter Rheinland und Westfalen: §35a SGB VIII Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung

 

Bundesministerium für Familien, Frauen, Senioren und Jugend: (PDF) Kinder- und Jugendhilfe


Fachliteratur

Frankfurter Kommentar SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe (Münder, Meysen, Trenczek)

 

Fähigkeitsbeeinträchtigung bei psychischen Erkrankungen. Diagnostik, Therapie und sozialmedizinische Beurteilung in Anlehnung an das Mini-ICF-APP (Linden, Baron, Muschalla, Ostholt-Corsten)

 

Mini-ICF-APP. Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen (Linden, Baron, Muschalla)

 

Die ICF-CY in der Praxis (de Camargo, Simon, Ronen, Rosenbaum)