Medizinethik

Die Medizinethik ist relevant für das gesamte Gesundheitswesen und damit für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen gleichermaßen. Das Thema ist nicht nur ein rein theoretisches, sondern es spielt eine sehr große Rolle im Alltag eines Psychotherapeuten.

Vier Prinzipien der Medizinethik

Die bekanntesten vier Prinzipien der modernen Medizinethik stammen von Beauchamp und Childress:

  1. Nichtschädigung von Patient*innen
    Primum non nocere. Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sollen bei der Diagnostik und Therapie als erstes darauf achten, Patient*innen nicht zu schaden.

  2. Respekt vor der Autonomie von Patient*innen
    voluntas aegroti suprema lex. Patient*innen entscheiden, Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sollen diese Entscheidungsfreiheit achten. Die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts von Patient*innen ist grundsätzlich vorrangig vor dem Primat der Heilung (salus aegroti suprema lex).

  3. Fürsorge für Patient*innen
    Das Tun und Unterlassen von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sollen dazu dienen, das Wohl von Patient*innen zu fördern.

  4. Gleichheit und Gerechtigkeit
    Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sollen gerecht handeln. Gesundheitsleistungen sollen fair verteilt werden. Niemand soll benachteiligt werden aufgrund seiner Nationalität, seiner politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung, Identität usw.

 

Dilemmata bei der Umsetzung der Prinzipien

Ein Dilemma ist eine Situation, in der man gezwungen ist, sich zwischen zwei gleichermaßen wichtigen Dingen zu entscheiden. Es ist medizinischer und psychotherapeutischer Alltag, dass es zu Zielkonflikten kommt, da die Umsetzung der Prinzipien sich widersprechen können. Beispiele dafür sind:

  1. Ein wirksames Medikament steht für die Erkrankung eines Patienten zur Verfügung. Ein Arzt könnte es verordnen um das Prinzip der Fürsorge für den Patienten umsetzen. Da das Medikament aber Nebenwirkungen hat, verletzt der Behandler gleichzeitig das Prinzip der Nichtschädigung des Patienten.
  2. Ein ähnliches Dilemma ergibt sich, wenn ein KVT-Therapeut einem Angstpatienten wirksam helfen kann, seine Angst zu reduzieren, als Therapieansatz aber eine Angstkonfrontationstherapie nötig ist, bei der es zunächst immer zu einer Zunahme der Angst kommt.
  3. Es entsteht ein Dilemma zwischen dem Respekt der Autonomie des Patienten und der Fürsorge für ihn, wenn ein Jugendlicher in Lebensgefahr ist (z.B. bei Suizidalität, starkem Untergewicht bei Anorexia nervosa), aber eine Behandlung verweigert.
  4. Dadurch, dass meine Praxis überlastet ist und die Behandlungskapazität nicht ausreicht für alle Patienten, stellen sich schwierige ethische Fragen: Nach welchen Kriterien muss ausgewählt werden, wer eine Behandlung bekommt? Was ist gerecht?

In Deutschland bezieht beispielsweise die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer Stellung in Bezug auf ausgewählte medizinethische Fragestellungen, z.B. zur Stammzellforschung. Mitglied sind u.a. Philosophen wie Dieter Birnbacher (wiki/Dieter_Birnbacher).

Informierte Einwilligung

Eine Konsequenz aus den ethischen Prinzipien ist, dass alle Ärzte und Psychotherapeuten den Patienten in verständlicher Weise aufklären müssen über diagnostische und therapeutische Maßnahmen bevor diese begonnen werden. Erst wenn der Patient nach dieser Aufklärung seine informierte Einwilligung gibt (informed consent), darf der Behandler die Behandlung beginnen. Die Selbstbestimmung jedes Menschen hat einen so hohen Stellenwert, dass sie als Grundrecht im Artikel 2 des Grundgesetz verankert ist.


Berufsordnung

Die Berufsordnung enthält ethische Prinzipien. Nachfolgend kannst du einen Auszug aus der Berufsordnung der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK) vom 26. November 2014 lesen, damit du dir einen Eindruck verschaffen kannst (natürlich sind aber alle Inhalte der Berufsordnung wichtig).

Allgemeine Berufspflichten

"Bei der Berufsausübung sind die international anerkannten ethischen Prinzipien zu beachten, insbesondere die Autonomie der Patienten zu respektieren, Schaden zu vermeiden, Nutzen zu mehren und Gerechtigkeit anzustreben".

 

"Psychotherapeuten haben die Würde, die Integrität und das Selbstbestimmungsrecht ihrer Patienten zu achten, unabhängig insbesondere von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, sozialer Stellung, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder politischer Überzeugung."

 

"Psychotherapeuten sind verpflichtet, die professionelle Qualität ihres Handelns unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu sichern und weiterzuentwickeln."

Sorgfaltspflichten

"Psychotherapeuten dürfen keine Behandlung durchführen und sind verpflichtet, eine begonnene Behandlung zu beenden, wenn sie feststellen, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Behandler nicht herstellbar ist, sie für die konkrete Aufgabe nicht befähigt oder hierfür nicht ausgebildet sind."

 

"Eine kontraindizierte Behandlung ist selbst bei ausdrücklichem Wunsch eines Patienten abzulehnen."

Abstinenz

"Psychotherapeuten haben die Pflicht, ihre Beziehungen zu Patienten und deren Bezugspersonen professionell zu gestalten und dabei jederzeit die besondere Verantwortung gegenüber ihren Patienten zu berücksichtigen."

 

"Psychotherapeuten sollen außertherapeutische Kontakte zu Patienten auf das Nötige beschränken und so gestalten, dass eine therapeutische Beziehung und die eigene Unabhängigkeit möglichst wenig beeinflusst werden."

 

"Jeglicher sexuelle Kontakt von Psychotherapeuten zu ihren Patienten ist unzulässig."

 

"Die abstinente Haltung erstreckt sich auch auf die Personen, die einem Patienten nahe stehen, bei Kindern und Jugendlichen insbesondere auf deren Bezugspersonen wie Eltern, Sorgeberechtigte, Pflegepersonen, Betreuer."

 

"Das Abstinenzgebot gilt auch für die Zeit nach Beendigung der Psychotherapie"

Einwilligung, Aufklärungspflicht

"Jede psychotherapeutische Behandlung bedarf der Einwilligung"

 

"Psychotherapeuten unterliegen einer Aufklärungspflicht gegenüber Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände"

Schweigepflicht

"Psychotherapeuten sind zur Verschwiegenheit über Behandlungsverhältnisse verpflichtet"

 

"Soweit Psychotherapeuten zur Offenbarung nicht gesetzlich verpflichtet sind, sind sie dazu nur befugt, wenn eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt oder die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist, z. B. bei dem Verdacht einer Misshandlung, eines Missbrauchs oder einer schwerwiegenden Verwahrlosung insbesondere von Kindern."

 

"Gefährdet ein Patient sich selbst oder andere, oder wird er gefährdet, so haben Psychotherapeuten zwischen Schweigepflicht, Schutz des Patienten, Schutz eines Dritten bzw. dem Allgemeinwohl abzuwägen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz des Patienten oder Dritter zu ergreifen."

Besonderheiten bei minderjährigen Patienten

"Bei minderjährigen Patienten haben Psychotherapeuten ihre Entscheidung, eine psychotherapeutische Behandlung anzubieten, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Einstellungen aller Beteiligten zu treffen."

 

"Einwilligungsfähig in eine psychotherapeutische Behandlung ist ein Minderjähriger nur dann, wenn er über die behandlungsbezogene natürliche Einsichtsfähigkeit verfügt."

 

"Verfügt der Patient nicht über diese Einsichtsfähigkeit, sind die Psychotherapeuten verpflichtet, sich der Einwilligung des oder der Sorgeberechtigten zu der Behandlung zu vergewissern."

 

"Können sich die Sorgeberechtigten nicht einigen, ist die Durchführung einer Behandlung mit dem noch nicht einsichtsfähigen Patienten von einer familiengerichtlichen Entscheidung abhängig."

 

"Psychotherapeuten sind schweigepflichtig sowohl gegenüber dem einsichtsfähigen Patienten als auch gegenüber den am therapeutischen Prozess teilnehmenden Bezugspersonen hinsichtlich der von den jeweiligen Personen ihm anvertrauten Mitteilungen."


* Kontraindizierte Behandlung: Eine Kontraindikation oder Gegenanzeige ist ein Umstand, der eine bestimmte Behandlung wie die Kognitive Verhaltenstherapie trotz gegebener Indikation verbietet (absolute Kontraindikation) oder nur nach strenger Abwägung der Risiken zulässt (relative Kontraindikation).

 

Die Psychotherapie-Richtlinie gibt z.B. vor, dass bei einem Patienten mit einer Depression (Indikation für eine KVT) und einer Alkohol-Abhängigkeitserkrankung, Psychotherapie kontraindiziert ist, wenn keine Suchtmittelfreiheit erreicht werden kann.

 

Die Psychotherapie-Richtlinie besagt auch, dass Psychotherapie als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist, wenn zwar seelische Krankheit vorliegt, aber ein Behandlungserfolg nicht erwartet werden kann, weil dafür bei der Patientin oder dem Patienten die Voraussetzung hinsichtlich der Motivationslage, der Motivierbarkeit oder der Umstellungsfähigkeit nicht gegeben sind.


Patienten, die den Eindruck haben, dass ein Arzt oder Psychotherapeut gegen die Berufsordnung verstoßen hat, können sich an den Arzt oder Psychotherapeuten selbst wenden, oder, wenn dies unangebracht wäre, an die Kammer oder weitere Institutionen.

Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer (OPK): Mitglieder der OPK sind die Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. | www.opk-info.de |

 

ethikverein e.V. - Ethik in der Psychotherapie: Der Ethikverein bietet bundesweit, kostenlos, unabhängig und professionell eine niedrigschwellige, vertrauliche Beratung für Patienten, Ausbildungskandidaten, psychotherapeutische Kollegen und ihre Institutionen an. Das Beraterteam aus Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aller Verfahren beantwortet Fragen zu Standards in der Psychotherapie und erarbeitet eine Klärung in ethisch und rechtlich schwierigen Behandlungssituationen gemeinsam mit den Anfragenden. | ethikverein.de |