Bindungsstörungen

Säuglinge haben ein angeborenes Bedürfnis nach Schutz und emotionaler Nähe. Fehlt eine fürsorgliche und liebevolle Beziehung, können psychische und Verhaltensprobleme die Folge sein.


Historische Entwicklung der Bindungsforschung

Erstmalig hat der Psychoanalytiker John Bowlby den Begriff "Bindung" geprägt. In den 1950 er Jahren stellte er seine Bindungstheorie auf. Andere bauten auf der psychoanalytischen Theorie von Bowlby auf,  u.a. von Mary Ainsworth, die einen Test entwickelte, den sie Fremde-Situations-Test nannte.


Das Konstrukt "Bindungsstörung"

Besonderheiten

Betrachtet man gängige Klassifikationssysteme psychischer Störungen wie die ICD der Weltgesundheitsorganisation (WHO), unterscheiden sich Bindungsstörungen von den meisten anderen Störungen dadurch, dass per Definition die Störung auf bestimmte Ursachen zurückgeführt wird:

 

Bindungsstörungen sind per Definition verursacht durch ungünstige Lebensbedingungen in der frühen Kindheit. Dazu gehören Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch, häufige Wechsel der Bezugspersonen.

 


Die zwei diagnostischen Einheiten

Eine unzureichende Betreuungsumwelt kann zu vor allem zu zwei Arten von Störungen führen, bei denen entweder Zurückgezogenheit oder Enthemmung im Vordergrund stehen. Der Begriff der Bindungsstörung umfasst diese zwei diagnostischen Einheiten:

 

1. Reaktive Bindungsstörung.
Zur Diagnosevergabe ist ein Verhaltensmuster erforderlich, bei dem ein Kind nicht nach Trost oder Unterstützung sucht, auch wenn eine adäquate primäre Bezugsperson verfügbar ist; wenn ein Kind selten sicherheitssuchendes Verhalten bei Erwachsenen zeigt; wenn ein Kind keine Reaktion auf Trostangebote zeigt.

2. Beziehungsstörung mit Enthemmung.

Zur Diagnosevergabe ist ein Verhaltensmuster erforderlich, bei welchem ein Kind stark abweichendes soziales Verhalten zeigt mit wahlloser Annäherung an unbekannte Erwachsene; mangelnde Zurückhaltung bei Kontaktaufnahme; übermäßig vertrautes Verhalten gegenüber unbekannten Erwachsenen; Bereitschaft, mit einem unbekannten Erwachsenen wegzugehen.

 

Zur Diagnosevergabe müssen diese Verhaltensmuster entstanden sein im Kontext von ungünstigen Lebensumständen wie extremer Vernachlässigung.

 


Abgrenzung

Eine Bindungsstörung in diesem Sinne ist nicht dasselbe wie ein Bindungsstil (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent). Bei einer Bindungsstörung handelt es sich um eine psychische Störung.


Differenzialdiagnostische Beurteilung

Zur Diagnosevergabe ist es erforderlich, dass nicht nur das oben beschriebene Verhaltensmuster aktuell vorhanden ist, sondern dass dieses außerdem verursacht ist durch deprimierende Beziehungserfahrungen in den ersten Lebensjahren.

 

Einzelne Symptome von Bindungsstörungen können auch als Symptome von anderen eigenständigen Störungen (wie ADHS) vorkommen. Es ist außerdem davon auszugehen, dass Bindungsstörungen sehr häufig komorbid mit weiteren psychischen Störungen (zum Beispiel ADHS, Störung des Sozialverhaltens) auftreten. Eine Abgrenzung zwischen den Symptomen ist erforderlich.


Therapie

In der Literatur werden drei Grundpfeiler der Behandlung dargestellt:

1. Schaffung einer sicheren Umgebung, adäquates Bildungsangebot mit einer verlässlichen, emotional zugewandten Bezugspersonen.

2. Förderung einer positiven Beziehungsgestaltung zwischen Bezugsperson und Kind

3. Behandlung von Symptomen von Kindern


Fachliteratur

Bolten, M., Schanz, C. G. & Equit, M. (2021): Bindungsstörungen


Ratgeber

Bolten, M., Schanz, C. G. & Equit, M. (2021): Ratgeber Bindungsstörungen