I VORGESCHICHTE
Im Bereich der Schmerzbehandlung gibt es in Deutschland große Defizite. Deutschland gilt als "Entwicklungsland" in diesem Bereich. Daher gibt es zur Verbesserung der Versorgung von Patient*innen mit chronischen Schmerzen die Möglichkeit für Psychotherapeuten, sich im Bereich der "Speziellen Schmerzpsychotherapie" weiterzubilden (www.opk-info.de).
Im Rahmen dieser Weiterbildung ist die Teilnahme an mehreren interdisziplinären Schmerzkonferenzen nötig. Bei den Schmerzkonferenzen, die ich besucht habe, haben Ärzte verschiedener Fachrichtungen und ein Physiotherapeut teilgenommen. Zu diesen Veranstaltungen kamen auch Vertreter von Pharmakonzernen, die Werbung machten für ihre Produkte. Nach den Konferenzen bin ich mit den Kolleg*innen essen gegangen auf Kosten des Pharma-Sponsors.
II BEWERTUNG
Ich dachte zunächst, dieses Sponsoring wäre unproblematisch. Ich sehe das mittlerweile anders. Denn natürlich empfehle ich eine medikamentöse Behandlung, wenn wissenschaftliche medizinische Leitlinien dies vorsehen. Durch das genannte Sponsoring könnte ich an Neutralität verlieren.
III SCHLUSSFOLGERUNG
Aus diesem Grund habe ich entschieden, alle weiteren Gratisessen oder andere Vergünstigungen abzulehnen und mein Verhalten hier transparent zu machen. Sie werden von meiner Praxis keinen Terminzettel bekommen, auf dem Werbung eines Medikaments abgedruckt ist, keine Kugelschreiber mit einer solchen Werbung, keine Broschüren von pharmazeutischen Unternehmen und so weiter.
Die Organisation MEZIS (Mein Essen zahl’ ich selbst) hat das Ziel, den Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf Ärzte transparenter zu machen und zu reduzieren. Ziel ist es...
"die wissenschaftliche und unabhängige Fort- und Weiterbildung von Ärzten und Ärztinnen und anderer Heilberufe auf dem Gebiet der rationalen Arzneimitteltherapie und evidenzbasierten Medizin zu verbessern und Schaden für Patientinnen und Patienten durch unzweckmäßige Arzneiverordnungen abzuwenden und die derzeit vorhandene intransparente und irreführende Beeinflussung des Verordnungsverhaltens offen zu legen und zurückzudrängen."
Die Pharmabranche ist anders als andere Branchen, etwa die Autoindustrie. Wenn es um ein Auto geht, entscheidet der Verbraucher, was er kauft und was nicht. Im deutschen Gesundheitssystem entscheidet das der Arzt, nicht der Verbraucher oder Patient.
"Patientinnen und Patienten möchten sicher sein, dass ihre Ärztin oder ihr Arzt ihnen Arzneimittel verschreibt, die wirksam, bewährt und für sie die richtigen sind. Sie möchten davon ausgehen, dass die Verordnung nicht vorrangig deswegen stattgefunden hat weil":
Meiner Meinung nach sollte die aktuelle Form der "Anwendungsbeobachtung" von Arzneimitteln verboten werden. Ärzte bekommen Geld von Pharmaunternehmen für die Durchführung "Studien" über die Wirkungen eines Medikaments (Quelle: Süddeutsche.de). Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach bezeichnet das als legale Korruption.
Eine echte Studie hat herausgefunden, dass die Teilnahme an "Anwendungsbeobachtungen" das Verhalten von Ärzten nachhaltig verändert: Sie verschreiben häufiger das Medikament für dessen "Anwendungsbeobachtung" sie Geld bekommen und bekommen haben in der Vergangenheit.
Hier ist eine Liste der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über Anwendungsbeobachtungen und die gezahlten "Aufwandsentschädigungen" Stand 20.12.2019. Beispiel: Für das Präparat Lucentis hätten Ärzte mit einer Aufwandentschädigung von 1.045,00 Euro pro Patient rechnen können; die gesamt ausbezahlte Aufwandsentschädigung im angegebenen Zeitraum betrage 6.312.360,00 €.
Da meine Arbeit auf Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung basiert, ist es umso wichtiger, dass diese Leitlinien nicht verzerrt sind durch finanzielle Interessen. www.leitlinienwatch.de ist ein Transparenzportal: Es bewertet Leitlinien auf ihre Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie. Dazu gibt es ein Punktesystem, das Maßnahmen belohnt, mit denen der Einfluss von Interessenkonflikten reduziert wird.
Die preisgekrönte Dokumentation "Das Pharmakartell" (wikipedia.org/wiki/Das_Pharmakartell)
zeigt die Problematik des Einflusses der Pharmaindustrie auf die Politik in Deutschland. Seit etwa 40 Jahren wird in Deutschland erfolglos versucht, eine Positivliste für Arzneimittel in Deutschland einzuführen (www.bpb.de). Eine Positivliste listet Medikamente auf, deren Nutzen nachgewiesen ist und bei denen Kosten-Nutzen-Aspekte berücksichtigt werden.